Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Lisa, vielen Dank für die freundliche Einladung, sehr geehrte Damen und Herren. Ich freue mich,
dass ich diesen Vortrag hier bei Ihnen halten darf über die Eugenik in der Propaganda des
Nationalsozialismus, historische und aktuelle Perspektiven. Enhancement bedeutet Verbesserung.
In der modernen Medizin steht das Wort für Versuche oder auch für Ideen, die menschliche
Natur auch die Gesunde zu verbessern. Insbesondere heute individuelle Gebrechen oder Eigenarten zu
heben. To enhance heißt ja auch anheben. In historischer Perspektive, um die es jetzt geht,
ist die NS-Rassenhygiene das monströse Projekt eines Enhancements eines ganzen Volkes. Um diese
Rassenhygiene also und ihre Nachwirkungen bis in die gegenwärtige Diskussion wird es nun gehen.
Ich beginne mit einem aktuellen Fall, einem Phänomen, das Sie auch alle zur Kenntnis
genommen haben, nämlich der Bundestagsentscheidung von 2011, dass in Ausnahmefällen die
Präimplantationsdiagnostik erlaubt wird bei uns. In vielen anderen Ländern ist sie schon länger
erlaubt, bei uns ist sie schon erlaubt, allerdings die Ausführungsbestimmungen sind noch nicht in
Kraft. Nun, was hat das mit unserem Thema zu tun? Im Umfeld dieser Entscheidung, dieser umstrittenen
Entscheidung gab es auch Stimmen, die sagten, die PID ist der Weg in die Selektion und das Wort
Selektion hat in Deutschland einen Anklang an die NS-Zeit. Und dieser Anklang wurde auch sehr
deutlich thematisiert. Der Arzt, der nämlich diesen Vorgang überhaupt erst in Gang gebracht hat durch
eine Selbstanzeige, hat in einem Interview dann auch direkt darauf hingewiesen, als er gefragt
wurde, was unterscheidet die deutsche Debatte um genetische Diagnostik von der in anderen Ländern,
die eine liberalere Gesetzgebung haben, sagte er, die deutsche Vergangenheit spielt immer eine Rolle,
also die Selektion an der Rampe von Auschwitz. Aber, so fährt er fort, damit hat die
Präimplantationsdiagnostik nichts zu tun. Wir haben hier also das Phänomen einer sogenannten
Nazi-Analogie, die uns auch im Folgenden noch beschäftigen wird. Ich werde im Folgenden die
folgenden etwa 50 Minuten nach dieser Gliederung vorgehen. Zunächst einen Blick auf die
naturwissenschaftliche Medizin in ihrer Verbindung zur Ideologie nach 1900 werfen,
dann mich der NS-Rassenhygiene zuwenden und in einem letzten Abschnitt die schon erwähnte
Nazi-Analogie etwas systematischer betrachten. Ich beginne also mit dem Themenbereich naturwissenschaftliche
Medizin und Ideologie nach 1900. Was ist damit gemeint? Die Vorgeschichte des Nationalsozialismus,
eine schon problematische Begriffsprägung. Die deutsche Geschichte ist sehr kompliziert
und ein Zeitzeuge, kein geringer, nämlich Thomas Mann, hat hier eine Verkettung fantastisch
unglückseliger Umstände gesehen. Damit ist gemeint der Weg in das Dritte Reich, der rückschaunt
kausale Ketten aufweist, deshalb auch die Verkettung, ist gleichwohl eine unwahrscheinliche
Verkettung gewesen und das soll dieses kurze Wort von Thomas Mann ausdrücken. Es gibt eine
Kausalität, aber bei dieser Entwicklung ist auch sehr viel Unglück dabei. Wenn es sich nicht um
eine so wichtige Angelegenheit handelte, könnte man von Pech reden. Es hätte auch anders kommen
können als es gekommen ist. Nun diese komplizierte deutsche Geschichte hat auch ausländische
Beobachter, zeitgenössische, zu einigen treffenden Formulierungen bewegt, etwa den bekannten australischen
Bioethiker Peter Singer, der in seiner praktischen Ethik diesen Satz eingefügt hat. Natürlich ist
die Vergangenheitsbewältigung für die Deutschen immer noch mühevoll und die deutsche Geschichte
ist so geartet, dass sie rationales Verstehen fast übersteigt. Wollen wir uns einmal den Weg
Deutschlands nach 1900 kurz zuwenden im Hinblick auf unser Thema? Zunächst unter dem Kapitel
Politik, Kultur, Wirtschaft, Ideologie. Ein weites Feld für wahr, das ich hier in aller Kürze nur
skizzieren möchte. Das Wilhelminische Kaiserreich war nach der Gründung 1870-71 eine
Erfolgsgeschichte, ein Machtstaat, der von seinen staatstragenden Schichten sehr geschätzt wurde
und durch die Niederlage im ersten Weltkrieg 1918 brach diese Welt buchstäblich zusammen und zwar
persönlich, weltanschaulich, wirtschaftlich, sozial, aber auch wissenschaftlich. Mit anderen
Worten, diese Niederlage hinterließ viele Verlierer im wahrsten Sinne des Wortes individuell,
aber auch ganze gesellschaftliche Gruppen waren davon betroffen. Insbesondere auch die Elite,
also Universitätsleute, das Bürgertum, waren durch diese Niederlage im Kern getroffen,
betroffen auch und die dann gegründete Weimarrepublik war im Grunde mit schweren
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:15:19 Min
Aufnahmedatum
2013-01-24
Hochgeladen am
2013-02-01 14:01:54
Sprache
de-DE
Seit etwa 1900 bildete sich in Europa die „Eugenik“ heraus, die in Deutschland als „Rassenhygiene“ konzeptualisiert wurde. Sie zielte im Sinne von Züchtungsutopien auf eine Verbesserung der „Erbanlagen“ und verband sich mit nationalistischen und „völkischen“ politischen Strömungen. Namhafte Vertreter der naturwissenschaftlichen Medizin waren nach dem Schock des verlorenen Ersten Weltkriegs bereit, im Interesse der Wiedergewinnung der deutschen Machtstellung ein Programm zu entwickeln, das vom NS-Regime bereitwillig aufgegriffen wurde. Hierbei spielte eine bis in den Schulunterricht getragene Gesundheitspropaganda, die eindeutig die Ausgrenzung und Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ thematisierte, eine wichtige Rolle. Das Beispiel der NS-Eugenik wird bis heute in bioethischen Debatten argumentativ verwendet, um Gefahren und Risiken herauszustellen bzw. durch eine „Nazi-Analogie“ bestimmte Entwicklungen zu diskreditieren.